12.03.2025

Wegunfall mit E-Scooter

Die Benützung eines E-Scooters für die Zurücklegung des Weges von der Wohnstätte zur Dienststelle steht grundsätzlich nicht unter Unfallversicherungsschutz, obwohl dieser Weg von der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst ist.

Dieser Beitrag stammt aus dem GÖD-Magazin 1/2025 von Dr. Martin Holzinger

 

Immer öfter werden gerade im städtischen Bereich Möglichkeiten gesucht, wie man alternativ zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem klassischen Individualverkehr mit PKW oder Zweirad mit Verbrennungsmotor den Weg von der Wohnstätte zur Arbeitsstätte zurück legen kann. Neben dem Fahrrad ist eine Zunahme rein elektrisch angetriebener Fortbewegungsmittel zu verzeichnen.  E-Scooter (in der StVO1 als „Klein- und Miniroller mit elektrischem Antrieb“ bezeichnet) sind inzwischen in vielen Städten fester Bestandteil der urbanen Mobilität. Der OGH2 hatte sich kürzlich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob bei der Benützung eines E-Scooters für die Fahrt von der Wohn- zur Arbeitsstätte ein Unfall als Arbeitsunfall einzustufen ist.3 

Bereits im Jahre 2021 hatte der OGH einen ähnlichen Fall zu klären, und zwar, ob ein solcher „Wegeunfall“ mit einem „Monowheel“ (elektrobetriebenes Einrad) als Arbeitsunfall qualifiziert werden kann.4 Bei einem solchen Fortbewegungsmittel wird mit Gewichtsverlagerung gelenkt, gebremst und beschleunigt. Der OGH führte in dieser Entscheidung aus, dass der Versicherungsschutz auch bei der Verwendung „ungewöhnlicher“ Verkehrsmittel grundsätzlich besteht (er listet dazu unter Hinweis auf Literatur5 auch Roller, Inlineskates oder Langlaufski auf), er lehnte in diesem Fall jedoch den Unfallversicherungsschutz ab. Der OGH differenzierte zwischen allgemein üblichen Verkehrsmitteln und Spiel- und Sportgeräten, wobei als Abgrenzungsmaßstab die Verkehrssitte heranzuziehen sei. Einräder sind keine Fahrzeuge i. S. d. StVO. Ein Monowheel gewährleistet aufgrund der technischen Ausführung (z. B. mangelnde Bremsen) kein sicheres Fahren.6 Die Grenze ist zwischen allgemein üblichen Verkehrsmitteln und Spiel- und Sportgeräten zu ziehen, die vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn bestimmt sind und nicht vorrangig einem Verkehrsbedürfnis dienen. Sicheres Fahren sei mit einem Monowheel nicht gewährleistet. Wenn sich die daraus resultierende besondere Gefahr verwirklicht, stellt das keine typische Gefahr eines Arbeitsweges dar, die vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst ist.7 Aus diesem Grund lehnte der OGH die Anerkennung als Arbeits- bzw. Dienstunfall ab.

E-Scooter verfügen im Gegensatz zu Monowheels unter anderem über eine wirksame Bremsvorrichtung, eine Lenkstange und Licht. Im konkreten Fall fuhr der Betroffene mit einem E-Scooter von seiner Wohnung zu seiner Dienststelle. Er wollte seine Geschwindigkeit auf 20 km/h reduzieren und betätigte den Bremshebel. Dabei kam es aufgrund der (im Vergleich mit einem üblichen Fahrrad) nicht so stark ausgeprägten Stabilität des E-Scooters, seiner geringeren Lenkerbreite und der kleineren Räder zu einer leichten Verlagerung der Fahrlinie, die in Verbindung mit der feuchten Fahrbahn zum Wegrutschen des Vorderrads führte,  wodurch er stürzte.

Der Sozialversicherungsträger lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Verletzte neben der Feststellung, die erlittenen Verletzungen seien Folgen eines Arbeitsunfalls auch die Gewährung einer Versehrtenrente. Er argumentierte, der E-Scooter sei ein für die Zurücklegung eines Arbeitsweges übliches und zulässiges, einem Fahrrad gleichgestelltes Fortbewegungsmittel, dessen Verwendung keine besondere Geschicklichkeit oder Eignung erfordere. Überdies handelt es sich dabei um ein Fahrzeug8 i. S. d. StVO. Da viele Dienstnehmer9 täglich damit zur Arbeit fahren, seien diese auch nicht als bloßes Spiel- oder Sportgerät für Freizeitzwecke anzusehen. Der Unfall war auf die allgemeine Weggefahr zurückzuführen und nicht durch eine vom E-Scooter ausgehende spezifische Gefahr ausgelöst worden. Er habe bei der Benützung des E-Scooters keine Rechtsvorschriften verletzt. Die beklagte Versicherungsanstalt hielt dem entgegen, der Sturz sei auf ein mit der Verwendung eines E-Scooters verbundenes typisches Risiko zurückzuführen, das insbesondere in der relativ hohen Fahrgeschwindigkeit in Kombination mit schlechter Schwerpunktlage und relativ kleinen Rädern bestehe, was eine instabile Fahrsituation bewirke. Der vom Kläger verwendete E-Scooter sei auch kein Fahrzeug i. S. d. StVO, sondern ein fahrzeugähnliches Spiel- oder Sportgerät, das der Gesetzgeber Fahrrädern bewusst nicht gleichgestellt habe.

Der OGH verweist in seinem Urteil vielfach auf die „Monowheel“-Entscheidung. Es steht dem Versicherten grundsätzlich die Wahl des Verkehrsmittels bzw. die Art der Fortbewegung auf Arbeitswegen frei. Bei Wegunfällen10 handelt es sich um eine rechtlich nicht zwingend gebotene, aus sozialpolitischen Überlegungen vorgenommene Erweiterung des Versicherungsschutzes, obwohl dieser Bereich dem Einfluss des Dienstgebers weitgehend entzogen ist. Vor diesem Hintergrund sollen nur die typischen, allgemeinen Weggefahren und Risiken versichert sein, nicht aber jegliche mit dem Weg in irgendeinem Zusammenhang stehenden anderen Ereignisse und Gefahren. In Rechtsprechung und in Literatur werden unterschiedliche Ansichten zur Frage vertreten, ob ein E-Scooter ein Fahrzeug i. S. d. StVO ist. Für die hier interessierende Abgrenzung ist die Beantwortung der Fragen dagegen nicht entscheidend, weil dafür die Einordnung nach der StVO nur Anhaltspunkte bietet und aus der Verwendung eines Fahrzeugs i. S. d. StVO daher nicht zwangsläufig die Zuordnung zum geschützten anstatt zum privaten Bereich folgt. Wesentlich ist in diesem Kontext vielmehr, ob es sich um ein allgemein übliches Verkehrsmittel handelt, bei dem ein sicheres Fahren gewährleistet ist. 

Aus den Erläuterungen zur StVO geht hervor, dass die Benützung von elektrisch betriebenen Klein- und Minirollern mit einer höchsten zulässigen Leistung von nicht mehr als 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h auf jenen Fahrbahnen gestattet werden soll, auf denen das Radfahren zulässig ist. Dabei sind alle für Radfahrer geltenden Verhaltensbestimmungen auch für Rollerfahrer verbindlich; es sind nicht nur die spezifischen Verhaltensbestimmungen für Radfahrer, sondern sämtliche Verhaltensregeln erfasst, wie zum Beispiel die Regeln betreffend das Abstellen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr.11 Daraus könnte eine gewisse Angleichung an Fahrräder abgeleitet werden. Die Grenze des Unfallversicherungsschutzes verläuft aber nicht zwischen Spiel- und Sportgeräten und Fahrzeugen i. S. d. StVO, sondern allgemein üblichen und anderen Verkehrs- bzw. Fortbewegungsmitteln. 

E-Scooter sind in erster Linie im innerstädtischen (Nah-)Verkehr inzwischen öfters anzutreffen. Das ändert aber nichts daran, dass sie der Gesetzgeber weder als allgemein übliches noch als sicher handhabbares Verkehrsmittel ansieht. Entscheidend ist, ob die Gesamtumstände dafür oder dagegen sprechen, das unfallbringende Verhalten dem geschützten oder dem privaten Bereich zuzurechnen. Da bei der Verwendung eines E-Scooters wegen seiner spezifischen Eigenschaften bzw. Bauart ein sicheres Fahren nicht garantiert ist, hat der OGH entschieden, dass gerade die daraus resultierende besondere Gefahr und keine allgemeine Weggefahr zum Unfall des Klägers geführt hat. Aus diesem Grund lag kein Arbeitsunfall vor, weshalb die besonderen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, wie etwa die Gewährung einer (zeitlich befristeten) Versehrtenrente nicht gewährt werden konnten. Wäre der Scooter-Fahrer durch ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers zu Sturz gekommen, hätte der OGH möglicherweise  anders entschieden.

 

1  Straßenverkehrsordnung.
2  Oberster Gerichtshof.
 OGH 8. 10. 2024, 10 Ob S 55/24x.
4   OGH 19. 1. 2021, 10 Ob S 150/20 m = DRdA-infas 2021/223.
 Schwerdtfeger in Lauterbach, UV4 SGB VII § 8 RZ 467.
 Diese Entscheidung wurde in einem Artikel in der Ausgabe 5/2021 näher erläutert.
 Siehe dazu auch OGH 21. 11. 2023, 10 ObS127/23h.
 Der Begriff „Fahrzeug“ wird in § 2 Abs 1 Z 19 StVO definiert, § 88b StVO definiert Regelungen im Zusammenhang mit Rollerfahren.
9  Personenbezogene Bezeichnungen umfassen gleichermaßen Personen jeden Geschlechts.
10   § 90 Abs 2 Z 1 B-KUVG, § 175 Abs 2 Z 1 ASVG.
11   ErläutRV 559 BlgNR 26. GP 2.