Wissenswertes zum Thema "Schutz vor Motivkündigung"
Bestimmte Kündigungsanlässe sind unzulässig
von Mag. Stefan Jöchtl
Allgemeiner Kündigungsschutz
Soweit nicht besondere Bestimmungen in Gesetz1, Kollektiv- oder Arbeitsvertrag bestehen, gilt bei einer Beschäftigung in einem (betriebsratspflichtigen) Betrieb der allgemeine Kündigungsschutz des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG). Dieser greift aber erst nach einer Betriebszugehörigkeit von zumindest 6 Monaten und setzt voraus, dass die Kündigung sozialwidrig ist, also wesentliche Interessen der Arbeitnehmerin, des Arbeitnehmers beeinträchtigt sind. Selbst dann kann eine Kündigung erfolgen, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung aus betrieblichen Gründen oder solchen, die in der Person der ArbeitnehmerIn gelegen sind, nicht zumutbar ist. Es kommt diesfalls zu einer Interessensabwägung, die im Streitfall das Arbeits- und Sozialgericht zu beurteilen hat.
Besonderer Schutz vor Motivkündigungen
Das ArbVG verbietet aber auch eine Kündigung aus ganz bestimmten, gesellschaftlich und sozial verpönten Motiven, die vom Gesetzgeber ausdrücklich als solche erklärt werden: Derart geschützt ist zunächst der Beitritt zu bzw. die Mitgliedschaft oder Tätigkeit in einer Gewerkschaft, womit grundsätzlich bereits jede Kontaktaufnahme mit der Gewerkschaft unter besonderem Schutz steht. Weiters ist bereits die Bewerbung um eine Mitgliedschaft zum Betriebsrat, aber auch eine frühere Mitgliedschaft im Betriebsrat darüber abgesichert (bei aufrechter Mitgliedschaft und als WahlwerberIn besteht darüber hinaus ein besonderer Kündigungsschutz, siehe dazu §§ 120f ArbVG), ebenso die Tätigkeit im Wahlvorstand (auch hier besteht im Zeitraum ab Bestellung bis zum Ende der Anfechtungsfrist ein besonderer Kündigungsschutz) oder als Wahlzeuge.Ebenso unzulässig ist die Kündigung wegen der Einberufung einer Betriebsversammlung, der Tätigkeit als Mitglied der Schlichtungsstelle, als Sicherheitsvertrauensperson, Sicherheitsfachkraft oder Arbeitsmediziner oder als Fach- oder Hilfspersonal von Sicherheitsfachkräften oder Arbeitsmedizinern. Auch die bevorstehende, aber noch nicht erfolgte Einberufung des Arbeitnehmers zum Präsenz- oder Ausbildungsdienst oder Zuweisung zum Zivildienst darf nicht der Grund für eine Kündigung sein, würde damit doch der besondere Kündigungsschutz ab erfolgter Einberufung oder Zuweisung umgangen. Verpönt ist auch die Kündigung wegen der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis. Dabei muss aber der Anspruch vom Arbeitgeber bestritten worden sein und dessen Geltendmachung darf nicht offensichtlich unberechtigt sein.
Ebenso abgesichert bzw. flankiert sind bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten2 und -wünsche wie Bildungskarenz und -teilzeit, Pflegekarenz und -teilzeit, Wiedereingliederungsteilzeit, Teilbeschäftigung zur Betreuung von Kindern über das 4. Lebensjahr hinaus3, aber auch das bedingungslose Ablehnungsrecht der Leistung jener Überstunden4, mit denen 10 Stunden pro Tag oder 50 pro Woche überschritten werden sowie die Tätigkeit als Datenschutzbeauftragter5. Auch das Verlassen eines Gefahrenbereiches bei unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit6 darf nicht Grund einer Kündigung sein. Natürlich sind auch Auflösungen, aber sogar Nichtverlängerungen von Arbeitsverhältnissen wegen des Geschlechtes7, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung8 sowie wegen einer Behinderung9 anfechtbar.
Geltendmachung
Die solcherart unzulässige Motivkündigung ist aber nicht grundsätzlich unwirksam, sondern muss angefochten, also vom Gericht aufgehoben werden. Da eine Motivlage oft nicht bis ins Letzte beweisbar ist, nach den normalen gerichtlichen Beweisregeln aber die zur Durchsetzung eines Anspruches nötigen Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu bestehen haben, gilt hier davon abweichend, dass eine Glaubhaftmachung des Vorliegens eines verpönten Motives ausreicht. Allerdings scheitert diese, wenn es das Gericht für wahrscheinlicher hält, dass ein anderer, nicht unzulässiger Grund, den der Arbeitgeber glaubhaft macht, ausschlaggebend war. Die Anfechtung einer Kündigung aus unzulässigem Motiv ist wie jene wegen Sozialwidrigkeit fristgebunden und muss daher grundsätzlich binnen 2 Wochen10 (1 Woche, wenn der Betriebsrat Widerspruch erhoben hat und die Anfechtung selbst vornimmt) ab Zugang bei Gericht mit Klage geltend gemacht werden!
Sittenwidrige Kündigungen
Auch wenn die unzulässigen Motive gesetzlich begrenzt und nicht erweiterbar sind, ist es in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, dass Kündigungen auch wegen allgemeiner Sittenwidrigkeit unwirksam (nichtig) sein können. Dies ist der Fall, wenn die Kündigung aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven, etwa wegen des Religionsbekenntnisses oder der politischen Einstellung, erfolgen würde. Angesichts des oben dargestellten Umfangs des gesetzlichen Schutzes vor Motivkündigungen bleibt dafür aber praktisch kaum ein Anwendungsbereich. Da sittenwidrige Kündigungen nicht nur anfechtbar, sondern sogar unwirksam sind, ist die gerichtliche Geltendmachung des Fortbestandes zwar nicht an eine fixe gesetzliche Frist gebunden, muss aber doch zeitnah im Zusammenhang mit der Kündigung erfolgen.
1 So im Kernbereich des öffentlichen Dienstes in den Dienstrechtsgesetzen für Bund, Länder und Gemeinden, aber auch bezüglich besonders geschützter Personengruppen wie Mütter und Väter im Rahmen von Schwangerschaft, Karenz und Elternteilzeit, Behinderte, Präsenz-, Ausbildungs- und Zivildienst-Leistende und Betriebsratsmitglieder. 2 Siehe dazu § 15 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) 3 Siehe dazu § 15n Abs 2 Mutterschutzgesetz (MSchG) bzw. § 8f Abs 2 Väterkarenzgesetz (VKG) 4 Siehe dazu § 7 Abs 6 Arbeitszeitgesetz (AZG) 5 Siehe dazu Art 38 Abs 3 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) 6 Siehe dazu § 8 Abs 2 AVRAG (Anfechtungsfrist nur 1 Woche!) 7 Siehe dazu § 12 Abs 7 Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) bzw. § 18c Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GlBG) 8 Siehe zu diesen Gründen § 26 Abs 7 GlBG bzw. § 18c B-GlBG 9 Siehe dazu § 7f Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) 10 Prozessuale Frist, die rechtzeitige Postaufgabe reicht daher